Okinawa-Tour 2012: Dienstag, 14.08.

Bericht: Shoshin Club Luxembourg: Steve Bettendorf, Laura Canaletti, Danny Elsen, Anne Rasimus
Fotos: Sprinz, Lajko

Am Dienstag fuhren wir früh um acht Uhr mit dem Bus los Richtung Chatan. In der Stadt hatten wir zwei Trainingseinheiten mit den Senseis Tsuyoshi Uechi, 8. Dan Isshin Ryu, und Sokuichi Gibu 10. Dan Shorin Ryu. Weil wir dort schon um neun Uhr ankamen, hatten wir genügend Zeit, uns mit der Umgebung vertraut zu machen. In der Praxis hieß das, dass wir herausfinden konnten, wo der Strand liegt: Direkt hinter der Turnhalle.

Die Trainingshalle war eine Indoor-Baseballhalle. Der Fußboden bestand aus grasgrünem Kunstrasen, der eigentlich gar nicht so übel war, besonders weil wir uns keine großen Distanzen bewegten. Die gläsernen Wände der Halle wurden geöffnet und so erfrischte uns ab und zu ein leichter Luftzug.

Isshin-Ryu und Shotokan - Prinzipielle Unterschiede

Die erste Einheit von zehn bis zwölf Uhr leitete Sensei Tsuyoshi Uechi (Isshin Ryu) und seine Assistenztrainer Glenn Brown und Sadao Darby. Laut Wikipedia ist Isshin Ryu hauptsächlich eine Synthese von Shorin-ryu, Goju-ryu und Kobudo. Der Name bedeutet buchstäblich "ein Weg des Herzens". Im Training, das mit einigen teils bekannten, teils für uns neuen Kihon-Techniken begann, fielen uns einige prinzipielle Unterschiede im Vergleich zum Shotokan-Karate auf: So halten die Karateka des Isshin-Ryu in der normalen Kamae-Position die Fäuste auf beiden Seiten der Taille (wie in Heidan Sandan). Der Daumen drückt auf den Zeigefinger auf der Innenseite der Faust, was die Stabilität der Handgelenke beim Fauststoß stärken soll. Der Sensei erzählte uns, dass vor langer Zeit Sensei Tatsuo Shimabuku seinen Daumen während des Trainings verletzt hatte und deshalb die Positionierung des Daumens geändert hat. So soll der Daumen nirgends hängen bleiben können. Anders als bei unseren Tsukis, die oft mit gestrecktem Arm und einer Rotation geschlagen werden, schlagen die Karateka des Isshin-Ryu aus deren speziellen Kamae-Position einen vertikalen Fauststoß (ähnlich zu Tate-Tsuki), der von allen Distanzen dieselbe Stärke aufweisen soll.

Sensei Tsuyoshi Uechi demonstriert Fußtritte

Ein weiterer Unterschied ist, dass im Isshin-Ryu Stil mit der Muskelseite des Armes und nicht mit der Knochenseite geblockt wird, was die Fähigkeit verstärken soll, einen Schlag zu absorbieren. Außerdem ist es eine geringere Belastung für den blockenden Arm. Beim Blocken werden keine rotierenden Armbewegungen genutzt. Auch bei den Fußtritten fielen uns Unterschiede auf: Sie werden nur gedan und chudan getreten und werden hauptsächlich geschnappt, nicht gestoßen.

Generell fanden wird, dass Isshin-Ryu starke, aber fließende und entspannte Bewegungen hat. Die Basisposition ist Sanchin-Dachi. Sparring-Übungen werden ebenso wie Kihon in hohen Positionen und fließend durchgeführt.

Uechi Sensei bei einer Kumite-Übung mit Pascal Petrella

Uechi Sensei zeigt eine Möglichkeit, einen Fußtritt aufzunehmen
und das Bein des Partners zu verdrehen

Der Sensei erklärte uns, dass er nicht die Namen der Techniken unterrichtet. Die Schüler lernen einen Plan für den Oberkörper und einen anderen für den unteren Körper. Die Techniken heißen Nr 1 bis beispielsweise 9a oder 10b. Japanischen Namen wie Mawashi-Tsuki werden nicht benutzt. Statt die Höhe jodan anzusagen, sagt der Sensei, dass er die Schläfen, die Nase oder die Lippen angreift. Anstatt chudan werden im Isshin-Ryu die Leber, die Nieren oder die Milz angegriffen. Glenn hat uns von einer persönlichen Erfahrung erzählt, als er auf die Leber einen heftigen Fauststoß erhielt. Er meinte, dass der Kopf weiter macht und nicht begreift, was passiert, wenn der Körper zusammenbricht und schlaff auf den Boden fällt.

In der zweiten Stunde lernten wir die erste Kata des Isshin-Ryu: Seisan (der Shotokan Name ist Hangetsu). Der Name bedeutet 13, wie 13 Techniken oder Kämpfen gegen 13 Angreifer. Seisan soll eine der ältesten Katas sein. Sie beinhaltet Grundtechniken wie Faust- und Fußangriffe, Abwehrtechniken und Drehungen. Sensei Tsuyoshi fungierte als echtes Vorbild und demonstrierte alle Übungen selbst auf eine energische und dynamische Weise. Seine Vorgehensweise war strukturiert und pädagogisch. Sein Dojo befindet sich in der Amerikanischen Militärbasis. Wie viele Dojos auf Okinawa ist es ziemlich klein, die Schüler sind hauptsächlich amerikanische Soldaten.

In der zweistündigen Mittagspause gingen viele aus unserer Gruppe direkt zum Strand, wo man wegen strikter Sicherheitsmaßnahmen nur in einem kleinen Gebiet schwimmen durfte. Laura aus Luxemburg konnte ihre Lieblingskombination - Sonne und Meer - so wenigstens für eine kleine Weile genießen. Für andere gab es viele Boutiquen und Restaurants zur Auswahl. Unter Dächern vor der heißen Sonne geschützt ließen es sich viele japanische Jugendliche und Familien beim Grillen - begleitet von einer Unmenge an Getränken - gut gehen.

Einige Karatekas erholen sich in der Mittagspause am nahe gelegenen Strand

Shorin-Ryu - Partnertraining

Die zweite Trainingseinheit von 14 bis 16 Uhr leiteten Sensei Sokuichin Gibu (Shorin Ryu) und seine Assistenztrainer Aurakaki Kazuko und Tokokazu Keyna. Wir fingen sofort mit Partnertraining an. Wir übten "klebende Hände" mit Schrittbewegungen. Zuerst bewegen wir uns vor- und rückwärts mit yori ashi. Danach gab es eine Version mit offenen Händen: Ein Tekubi-Uke mit yori ashi rückwärts und vorwärts ein Tsuki (sanft/hart und langsam/schnell). Als nächstes gab es kurze Kombinationsübungen mit dem Partner, zum Beispiel wurde ein Jodan-Tsuki mit Shuto-Barai geblockt und mit Hentei-Teisho gegen das Kinn abgekontert. Es folgte ein Angriff mit der offenen Hand gegen den Hals des Gegners. Anschließend wurde der Partner mit einem Fußtritt aus dem Gleichgewicht gebracht.

Sensei Sokuichin Gibu (links) demonstriert "klebende Hände"

Angriff zum Hals und Wurf des Gegners

Kata

Nach den Partnerübungen schlug der Sensei vor, dass wir abwechselnd Katas zeigen, was uns natürlich freute und sehr interessant war. Seine Assistenztrainer führten drei oder vier Shorin-Katas vor. Nico Ibscher zeigte Jitte, Oliver aus Freiburg lief Gojushiho Dai, Roland Reiszek zeigte Tekki Shodan und Lauren Frearson lief Sochin.

Lauren Frearson zeigt die Kata Sochin

Aurakaki Kazuko demonstriert eine Tonfa-Kata

Kobudo

In der zweiten Stunde zeigten die Assistenztrainer Kobudo-Katas für Sai (Dreizack mit kurzen äußeren und langer mittlere Zacke) und Tonfa (Schlagstock mit Quergriff). Der Sensei hatte einige Sais und Tonfas dabei, so dass wir in kleinen Gruppen die Katas mitmachen konnten. Anne schnappte sich sofort ein Paar Sai und folgt den Anweisungen von Aurakaki Kazuko. Ihr gefielen besonders die Bewegungen, die Tiere wie zum Beispiel den Kranich nachahmen und aus chinesischen Kampfkunst-Filmen bekannt sind.

Oliver Sprinz aus Ludwigshafen beim Trainieren einer Sai-Kata

Sensei Sokuichi Gibu gab uns einen umfangreichen Einblick in seine Stilrichtung und zeigte gleichzeitig Interesse an einen Informationsaustausch. Von unseren Shotokan-Katas schien er recht beeindruckt zu sein.

Den Nachmittag nach dem Training verbrachten wir mit dem Bus im Stau und konnten so die amerikanische Militärbasis und die vielen Shops betrachten, die ihre Angebote an die amerikanischen Soldaten und deren Familien richten. Eine ununterbrochene Kette von Zementgebäuden, die alle keine architektonischen Hochleistungen sind, reicht von Chatan bis nach Naha. Eine Stadt schmilzt in die andere.

Das Abendprogramm war für viele - wie üblich - das drei-D-Programm: Dusche, Dinner und Dojo-Bar (kleine gemütliche Bar, die von amerikanischen Karatekas geführt wird). Die von James (Barchef) selbstgemachten Spezialitäten Awamori (Sake, also Reiswein) oder Habushu (giftiger Schlangenwein) haben den Abend angemessen beflügelt.


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