Okinawa-Tour 2012: Mittwoch, 15.08.

Bericht: To Shin Kan Dojo Ludwigshafen: Cassandra Lajko, David Peter, Oliver Sprinz
Fotos: Peter, Sprinz, Lajko

1600 Tsukis und ein bisschen Kata

Die erste Trainingseinheit am Mittwoch unter Leitung von Sensei Minoru Higa, Shorin Ryu, war wohl das, was unter "traditionellem Karatetraining" verstanden werden kann. Mit anderen Worten: In dem zweistündigen Training liefen wir drei- oder viermal die Naihanchi Shodan (unsere Tekki Shodan, allerdings in einem sehr schmalen und sehr hohen Kiba Dachi) und verbrachten den Rest der Zeit damit, ein paar Tsukis zu schlagen. "Ein paar" bedeutet in diesem Fall ungefähr 1600 - schön im Stand, ein Schlag nach dem anderen. Wer an seiner mentalen Stärke arbeiten oder sein Durchhaltevermögen trainieren wollte, kam dabei voll auf seine Kosten. Andere scheuerten sich vielleicht eher mit dem Gedanken "was soll das?" im Hinterkopf die Handgelenke beim Hikite wund. Auf jeden Fall wurde bei diesem Training und Higa Senseis kleineren Demonstrationen am Partner klar, dass man sich mit dem "netten älteren Herrn" da vorne ganz sicher nicht anlegen will.

Sensei Minoru Higa zeigt wie's geht
und lässt danach Tsukis üben - ungefähr 1600

Higa Sensei beim Partnertraining

Higa Sensei korrigiert seinen Assistenten
bei der Naihanchi Shodan

Kote-Kitae oder die Kunst, möglichst viele blaue Flecken zu bekommen

Nach der Mittagspause, die wunderbar an einigen schattigen Plätzchen rund um die Budokanhalle verbracht werden konnte, ging es mit unserer ersten Einheit Uechi Ryu bei Sensei Takenobu Uehara weiter. In dieser Einheit prägten sich besonders die Kote-Kitae-Übungen ein - Körperabhärtung mit dem Partner. Zuerst wurden verschiedene Übungen gemacht, die an die klebenden Hände vom Vortag erinnerten. Los ging es mit Uchi-Uke: Beide Partner machten Uchi-Uke, die Unterarme berührten sich knapp unterhalb des Handgelenks. Dann streckten beide den Uchi-Uke-Arm zum Tsuki und zogen ihn dann wieder zum Uchi-Uke an den Körper heran. Die ganze Zeit über berührten sich die Unterarme. Ziel war es dabei weniger, die Techniken schön und direkt nach vorne auszurichten, sondern während der Technikausführung gegen den Arm des Gegners zu drücken - so entstand eine recht intensive Reibung und die Unterarme waren innerhalb kürzester Zeit schön rot. Ein besonders angenehmes Gefühl war das zwar nicht unbedingt, dafür konnte man das Ganze aber quasi als kostenloses Hautpeeling betrachten.

Es folgten weitere Abhärtungsübungen, die jedoch weniger über Reibung, als über Schlagkraft gingen. Wieder führten beide Partner immer in der gleichen Reihenfolge dieselben Blocks gegen den blockenden Arm des Partners aus, beispielsweise trafen zuerst zwei Nagashi-Uke aufeinander, dann Hente-Uchi-Uke, Hente-Gedan-Barai, dann kam der andere Arm an die Reihe. Schließlich sollten die Unterarme gleichmäßig blau werden. Beim Beschreiben dieser Übung schleicht sich irgendwie der leise Gedanke ins Gehirn, dass man doch schon ordentlich blöd sein muss, um sich selber grundlos auf diese Art blaue Flecken zu holen. Eigentlich aber war es eine gute Übung, um sich einerseits abzuhärten, auf der anderen Seite aber auch ein Gefühl für die Blocktechniken zu bekommen, besonders wenn beide Partner vom Schmerzempfinden her ungefähr auf der gleichen Stufe standen. Und natürlich konnte bei diesen Abhärtungsübungen jeder wunderbar testen, was er eigentlich alles einstecken kann - diese Übungen konnten also gemeinsam mit den Tsukis vom Vormittag unter dem Oberbegriff "mentales Training" abgelegt werden.

Kote-Kitae: Körperabhärtung durch Druck und Reibung

Kote-Kitae: Körperabhärtung durch hartes Blocken - je oller, je doller

"Schschipp" - Pressatmung und Körperspannung

Weiter ging es mit einer Form der Kata Sanchin, bei der Uehara Sensei besonders auf die Atmung und die Anspannung des Körpers achtete. Die Atmung glich eher einem Luftanhalten als Atmen. Die Luft wurde nach dem Einatmen nicht gleich wieder ausgeatmet, sondern im Körper gehalten und dann immer wieder in kleinen Schüben langsam herausgepresst, indem die Zunge sich an den Gaumen legte und der Mund nur ganz leicht geöffnet war. Mit dieser Mundhaltung ist es unmöglich, schnell oder locker auszuatmen, die Luft wird wirklich aus dem Mund herausgepresst. Dabei entsteht ein zischelndes Geräusch, das im ersten Moment für Heiterkeit sorgte - wenn man sich vorstellt, dass eine Halle voller Karatekas eine ganze Kata über da steht und "schschipp, schschipp, schschipp" macht. Auf einmal Einatmen folgte ein mehrmaliges Ausatmen: Also Luft holen, anhalten, zischelnd ausatmen, anhalten, ausatmen, anhalten und so weiter. Eigentlich müsste man hier jetzt schreiben, dass die Luft beim Ausatmen aus den Lungen gepresst wurde, aber angefühlt hat es sich vielmehr, als würde die Luft aus dem Bauch herausgepresst. Durch diese Pressatmung spannte sich die Bauchmuskulatur fast von alleine an, und auch das für uns wohl eher übertriebene Anspannen des Ober- und Unterkörpers fiel mit dieser Art der Atmung irgendwie leichter.

Warum Uehara Sensei so viel Wert auf die Atmung und das damit einhergehende Spannen des gesamten Körpers legte, zeigte sich schnell: Seine Assistenten entledigten sich ihres Gi-Oberteils und führten die Kata Sanchin immer zu zweit vor: Einer lief die Kata, der andere testete seine Körperanspannung durch diverse Schläge gegen Ober-und Unterkörper. Nach dieser Demonstration durften auch wir uns enthüllen, die Damen allerdings blieben angezogen. Das war zwar recht ungewohnt, minderte aber nicht die Freude am Training. Nach einigen Durchläufen der Sanchin konnten dann diejenigen, die ihre Körperspannung auf die zuvor gezeigte Weise testen lassen wollten, nach vorne kommen und sich dort von den Assistenten von Uehara Sensei freundlich klopfen lassen.

Kata Sanchin oben ohne - mit sporadischen Schlägen und Tritten
der Assistenten von Uehara Sensei zum Testen der Körperspannung

Uehara Sensei beim obligatorischen Gruppenbild

Tradition als Ausgleich zur modernen Großstadt

Im Anschluss an das Training stattete ein Großteil der Gruppe Shuri Castle einen Besuch ab und holte sich dort eine gehörige Portion japanischer Tradition. Die klassischen Holzgebäude, häufig rot lackiert und mit bunten Drachen verziert, die typischen Tore und die geschwungenen Dächer mit ihren spitzen Ecken bildeten einen starken Kontrast zu der modernen Stadt Naha. Den Abend lies jeder auf seine Weise ausklingen. Wir für unseren Teil hinterließen in einem kleinen und sehr gemütlichen Restaurant in der Nähe von Shuri Castle vermutlich den tollen Eindruck, dass Europäer unglaublich gefräßig sind - aus Versehen, versteht sich. Die beiden jungen Damen am Nebentisch hatten nämlich diverse kleine Teller auf ihrem Tisch stehen, auf denen jeweils lächerlich kleine Portionen Platz fanden, also bestellten wir diverse Gerichte - in der Annahme, entsprechend kleine Portionen zu bekommen. Stattdessen standen nachher vor jedem von uns zwei Hauptgerichte. Wir kämpften uns aber tapfer durch das leckere Essen und leerten fast alle Teller. Als Ausgleich zum tollen ersten Eindruck haben wir also wenigstens dafür gesorgt, dass das Wetter am nächsten Tag schön sonnig wurde.

Shuri Castle


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