Im Gedenken an Kase Sensei

... der mir zeigte, was es heißt, sich in der Schwerelosigkeit zu bewegen!

Von Hideo Ochi

 

Ich sah Herrn Kase zum ersten Mal, als ich in die Instuctor class der JKA eintrat, nachdem ich mein Studium an der Takushoku Universität abgeschlossen hatte. In dieser Zeit lag das Dojo der JKA in der Nähe des Yotsuya Bahnhofs in Tokio. Es war das erste Dojo der JKA. Dieses erste, kleine Honbu-Dojo war eigentlich ein Kino und konnte von uns nur dann genutzt werden, wenn keine Filme vorgeführt wurden.

Das Training der Instrutor class fand in jener Zeit zweimal täglich und zwar von 9.00 bis 10.00 Uhr und von 12.00 bis 13.00 Uhr statt. Vormittags leitete Herr Kase das Kumite-Training und mittags Hr. Sugiura das Kata-Training. Chiefinstructor Sensei Nakayama hatte die Oberaufsicht. Einmal pro Woche gab es eine Diskussionsstunde über die theoretischen Arbeiten der Teilnehmer der Instructor class oder der Arbeiten von anderen Sportwissenschaftlern.

Eine Kata-Stunde lief zum Beispiel folgendermaßen ab: Herr Sugiura sagte die Kata Bassai Dai an und danach "Hajime!", "Yame!", weiter, "Hajime!", "Yame!" und das ungefähr 10 mal, danach dann die nächste Kata, 10 Wiederholungen, die nächste Kata, usw., usw. bis ans Ende der Unterrichtsstunde. Er hat unsere Kata nie korrigiert. Seine Lernmethode: "Korrigiere selbst und übe!" Wenn wir eine neue Kata lernen wollten, mussten wir einem älteren Instructor, wie Herrn Kanazawa oder Herrn Shirai, zuschauen und das Gesehene selbst üben.

Das Kumite-Training stand unter Kase`s Leitung und ließ uns erfahren, was es heißt, sich in der "Schwerelosigkeit" zu bewegen. Am ersten Tag trainierten wir Gohon-Kumite. Unser Dojo war, wie gesagt, nicht sehr groß. Deshalb konnten nicht alle gleichzeitig mit einem Partner Gohon-Kumite trainieren. Es wurden 2 Gruppen gebildet in denen jeweils einer von uns nacheinander mit 10 Gegnern Gohon-Kumite machen musste. Bis zum 3. Partner konnten wir richtig angreifen und abwehren. Wenn wir aber beim 5. und 6. Partner angekommen waren, waren wir schon fast unfähig zu denken und beim 10. Partner wussten wir nicht mehr, mit welchen Techniken wir angriffen oder abwehrten.

Am nächsten Tag dann das gleiche Training mit Freikampf (1 zu 10 Freikampf - "Juningake"). Einer von uns musste nacheinander mit 10 Gegnern Freikampf machen! Das war natürlich unvergleichlich härter als mit 10 Partnern nacheinander Gohon-Kumite zu üben. (Diejenigen, die mehr darüber wissen möchten, sollten Hanskarl Rotzinger fragen, der 1971 als Mitglied der damaligen Nationalmannschaft in Bochum diese Härte erlebt hat.)

Wir, die Teilnehmer meiner Instructor class, waren im Freikampf noch nicht so geübt und mussten trotzdem mit den damaligen "Top-Instructoren" (wie Kanazawa, Enoeda, Shirai, Yaguchi und Asai) kämpfen. Wir waren noch jung, 23 Jahre alt und konnten den ersten 2 bis 3 noch energisch Widerstand leisten, doch beim 5. oder 6. Partner angekommen, waren wir schon fast bewusstlos, unfähig zu denken mit welchen Techniken ("Tsuki" oder "Keri") wir angreifen sollten oder wie wir die gegnerischen Angriffe blocken oder ihnen ausweichen sollten.

Dieses "10-ningake"-Training ließ unsere Techniken immer langsamer und schwerer werden, ohne "Kime", so dass wir ein Gefühl hatten, als würden wir uns unter Wasser bewegen. Als ich dieses "Juningake" endlich knapp lebend überstanden hatte, taumelte ich fast bewusstlos zu Boden. Als ich noch so am Boden saß, kam Herr Kase zu mir und sagte: "Du, Ochi! Ihr macht bloß langsame, kraftlose Techniken und seht aus, wie Astronauten, die sich in der Schwerelosigkeit bewegen!"

Wenn ich an Herrn Kase denke, erinnere ich mich an diesen Satz, so als sei es erst gestern gewesen, dass er das zu mir gesagt hat. Durch sein einjähriges, hartes Training konnte ich das Abschlussexamen der Instructor class bestehen und zum Abschluss mit starken und schnellen Techniken angreifen und abwehren egal mit wie vielen Gegnern ich nacheinander kämpfen musste. Dank seines harten Trainings habe ich die Instructor class bestanden und kann noch heute im Ausland Karate unterrichten. Dafür bin ich Kase Sensei von Herzen dankbar.

Im Oktober vorigen Jahres, kurz vor seinem Tod, habe ich ihn in Paris besucht um ihn zu bitten, seine Unterstützung zur Errichtung eines "Nakayama-Hoitsu-Mitschüler" Gedenksteins zu geben. Dieses Denkmal wird von den im Ausland lebenden Instructoren, die unter Nakayama Sensei Karate gelernt haben, in Herrn Iida`s Tempel "Hozoji" in Yotsuya errichtet werden. Herr Kase hat zugestimmt. Nun gravieren wir selbstverständlich auch seinen Namen dort ein.

"Sensei Kase! Bitte trainieren sie dort wo sie jetzt sind weiter unter Sensei Nakayama zusammen mit Shoji und Enoeda (England), Miyazaki und Shimohara (Belgien), Itaya (Argentinien), Majima (Mexiko), Fujinaga (Österreich), Tabata (Taiwan) harmonisch wie in den alten Zeiten des Yotsuya Dojos. Ich werde auch irgendwann dazu kommen und mich freuen, unter ihrer Leitung, wie in meinen Instructor class Zeiten trainieren zu können."

"Ich bete, dass ihre Seele Ruhe findet."

Oss

Hideo Ochi

Quelle: Deutscher JKA Karate-Bund, Heft 1(2005)